Der Wassermann, das Zeichen, in dem die Sonne von Mitte Januar bis Mitte Februar steht, hat mit Wasser nichts zu tun. Es ist ein Luftzeichen wie der Zwilling und die Waage. Sein Planetenherrscher, Uranus, ist ein schöpferischer Ursprungsgott. Der Sohn der Mutter Erde, Gaia, “blickte von den Bergen liebevoll auf sie herab und sprühte fruchtbaren Regen über die geheimen Öffnungen ihres Leibes. Da gebar sie das Gras, die Blumen und die Bäume und auch die Tiere und Vögel.” (Robert Ranke-Graves) Aber Gaia gebar auch die Zyklopen, die Uranus prompt in den Tartarus verbannte, weil er ihren häßlichen Anblick nicht ertrug. Die Titanen, weitere Kinder der beiden, liessen ihn kalt, aber der siebte Sohn, Chronos oder Saturn, der Herr der Zeit, griff zu seiner Sichel und schnitt, im Auftrag der rachsüchtigen Mutter, dem Uranus sein zeugungsfreudiges Glied ab. Als Entmannter hält er sich seither verständlicherweise von Gaia fern.
Nur die Vögel, die den Blick des Menschen nach oben lenken, erinnern heute an den Herrn des Himmels. Sie sind seine Boten, und man begreift das Tierkreiszeichen Wassermann erst, wenn man ihn zu den Geschöpfen der Luft in Beziehung setzt. Vielleicht hat sich in diesem Bild noch eine ältere Form der Prophezeiung dem Vogelflug bewahrt, von der Montaigne sagt: “Von allen Weissagungen der Vergangenheit waren die ältesten und zuverlässigsten jene, die man aus dem Vogelflug gewann: Diese Ordnung und Gesetzmäßigkeit des Flügelschlags, dieser so erhabene Bewegungsablauf, aus dem die Folgerungen für die künftigen Dinge gezogen wurden, kann doch nur einer Kraft der besonderen Art zu verdanken sein.”
Wassermänner und – frauen haben immer einen ganz besonders leichten Schritt, hüpfend oder tänzelnd bis hin zum nervösen Wippen, als wollten sie gleich abheben. Manche bewegen sich wie ein Flügelrad, so anmutig wie Ganymed, von dem es heißt, er sei von Zeus entführt und dann als Wassermann an den Himmel verstirnt worden. Die Wassermannfrauen sind von auffällig schöner und lässiger Extravaganz. Dabei kümmern sie sich nicht um die konventionelle Mode. Es darf ruhig so farbenfreudig zugehen wie bei ihren geistigen Artgenossen. Auch die Männer scheuen sich nicht, mal mit knallroten Schnabelschuhen auf die Straße zu treten.
Man findet sie selten in der Politik oder in der Wirtschaft, und wenn sich doch einmal einer dorthin verirrt, bleibt er ein bunter Vogel. Ein Wassermann hat in der Politik und in der Welt der Banken nichts verloren, in der die Leitbullen und die Leithammel gefragt sind. Auch ein gut brüllender Löwe wie Barack Obama ist dort willkommen. Vögel dagegen formieren sich zu Schwärmen, die einer anderen Logik folgen als das Kollektiv einer Herde. Darin ähneln sie den Fischen, auch den astrologischen. Sie haben keinen Leitvogel. Das widerspricht ihrer Funktionsweise und ihrem Naturell. In einem Schwarm kann jeder Vogel einmal die Führung übernehmen. Wenn der an der Spitze ermüdet, dreht er ab und überläßt dem nächsten seine Position. Die Partei der Grünen hat sich selbst einmal als Schwarm bezeichnet, aber trotzdem konnten sich der Widder Joschka Fischer und der Löwe Jürgen Trittin bei ihnen ziemlich lange behaupten.
Beobachtet man die kreisenden, sich ständig neu bildenden, immer eleganten Formationen eines Schwarms, ahnt man noch eine andere Triebfeder als die der Notwendigkeit: die hemmungslose Freude am Spiel. Das Ergebnis ist immer eine blendende Show. Was die Wassermänner auszeichnet und für die Niederungen des Alltags nur bedingt tauglich macht, ist ihre Vogelperspektive. Sie übersehen große Zusammenhänge mit scharfem Auge, aber sie sehen dabei auch von sich ab. Sie interessieren sich für Beziehungen und analysieren als Psychologen, Berater oder auch Astrologen ungerührt und scharfsichtig die Probleme ihrer Klienten. Ihre eigenen Gefühle oder Schwierigkeiten thematisieren sie ungern und wenn, dann in der kühlen Tonlage, die einem anderen zu gelten scheint.
Als Partner sind sie zwar zuverlässig aber sehr wortkarg, wenn es um Liebeserklärungen geht. Für einige Männer ist das verwirrend, wenn sie von ihrer geliebten Wassermannfrau, der der Feminismus schon ins Nest gelegt worden zu sein scheint, bei Streitereien mit glasklaren Argumenten konfrontiert werden statt mit Liebesbeteuerungen oder gar mit Tränen. Der Heiratsantrag eines Wassermanns kann so poetisch klingen wie ein Steuererklärung, die ihn übrigens nicht selten zur Eheschließung motiviert. Die Schwarmbindung ist locker, was dem unverbindlichen Temperament dieses Zeichens entspricht. Er fühlt sich nie bedingungslos zugehörig wie zum Beispiel der Stier, der sich gerne bindet und damit mehrere Ehen riskiert, einfach, weil er gleich heiraten muß. “In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen”, ruft der Wassermann Bertolt Brecht seinen Frauen und Genossen zu. Bei dem Fest der Sternzeichen, auf dem die Jungfrauen auf den Tischen tanzen, sind einige Zeichen ausgelassen worden, auch die Wassermänner. Ein Fest ist einfach nicht ihr Ding. Sie gleiten über das lärmende Geschehen hinweg und finden es ziemlich aufwendig und lächerlich, was es, so gesehen, zweifellos ist. Lieber widmen sie sich ihrer eigenen, ausgeklügelten Balz, als auf dem Markt der Eitelkeiten zu glänzen. Auch die Waagen und die Fische haben sich auf dem Fest vermißt. Das werden wir zu gegebener Zeit nachholen.
Wassermänner spielen zwar gern mit politischen und revolutionären Ideen. Aber wenn es darum geht, ihre Gedanken in praktisches Handeln zu verwandeln, sitzen sie längst auf einem anderen Ast und spotten wie die Drosseln. Als der Planetenherrscher dieses Zeichens, der Uranus, 1790 entdeckt wurde, brach zwei Jahre später die Französische Revolution aus. Mit ihm kam das revolutionäre Prinzip in die Welt. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind Parolen, die dem Wassermann absolut sympathisch sind. Ein gefürchteter Vertreter der Revolution war der Wassermann Robespierre. Flugs wurde damals auch ein neuer Kalender eingeführt.
Daß jede Umwälzung mit einer neuen Zeitrechnung anfangen will, ist wohl einer späten Rache des alten Himmelsvaters an seinem Sohn Saturn, dem Herrscher der Zeit, geschuldet. Seine eigentlich anarchische und systemsprengende Macht entfaltet er in der Kunst, deren uranische Kinder noch wissen, daß sie nicht der Erde dienen, sondern an den Himmel erinnern sollen.

Einfach herrlich! Hat mir wieder große Freude bereitet. Danke
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