Glitzert das Meer ruhig in der Sonne, glättet sich auch die Seele; zeigt es sich aufgewühlt, ist der Betrachter geneigt, dem Aufruhr der eigenen Gefühle nachzulauschen. Doch wer meint, das Meer sei nur Projektion der eigenen Seelenverfaßtheit, täuscht sich. Es ist eine eigene reale Welt, die für den Landbewohner Abgründe bereithält, die irritieren.
Genauso verhält es sich mit dem Tierkreiszeichen, dessen Element das weite Meer ist, mit dem Fisch. Wer sich ihm mit seinen Problemen zutraulich nähert, fühlt sich vom Fisch bestens verstanden, gilt er doch als einfühlsamer Kenner der menschlichen Psyche. Ein kleiner Seelsorger steckt in jedem seinesgleichen. In der Tat wird man diesem Zeichen unter Pfarrern und Heiligen häufiger begegnen. Kaum zufällig steht das Christentum unter dem Signum des Fisches.
Die andere Seite, die man beim Fisch oft unterschätzt, ist sein enormes Selbstbewußtsein. Ein ingeniöser Wassermann mag das Rad erfunden haben, aber jeder Fisch ist insgeheim davon überzeugt, daß er zum Schöpfer neuer Welten berufen ist, mag er sonst so bescheiden daher schlängeln. Zuweilen hat es sogar etwas für sich, wie bei den Fische-Geborenen Michail Gorbatschow, Albert Einstein, Michael de Montaigne oder Ovid.
Fische sind proteischer Natur. Ovids Hauptwerk heißt bezeichnenderweise “Metamorphosen”. Deshalb sind sie auch so schwer zu fassen. Sie können liebenswürdig und verbindlich erscheinen, aber in ihren Grundsätzen so stur sein wie ein Steinbock. Man glaube ja nicht, einen Fisch überzeugt zu haben, nur weil er verständnisinnig nickt. Als Verwandlungskünstler neigt er zur Empathie und muß deshalb Schutzmechanismen entwickeln. Bevor Argumente ihn erreichen, die ihm nicht passen, taucht er einfach ab.
Ein Fisch ist alles andere als stumm. Wenn man ihn ärgert, versagt sogar seine vielgepriesene Feinfühligkeit. Dann entwickelt er einen inspirierten schimpfenden Wortschwall, bei dem man sich lieber in die Ecke duckt. Wird ein Fisch angegriffen, kann er sich von einem lieblichen Schleierschwanz über einen stachligen Rochen in einen zähnebewehrten Hai verwandeln – aber auch mit der selben schillernden Leichtigkeit wieder zurück in einen friedlich wedelnden Algenfresser. Dabei kommt ihm sein trockener Witz zu gute, der eine tiefgründige Beziehung zum Unbewußten hat. Wer je die Schriften des großen Astrologen Wolfgang Döbereiner – auch er ein Fisch – studiert hat oder gar mal in seinen Vorträgen saß, weiß von diesen Schockwellen ein Lied zu singen.
Der Reichtum und die Großzügigkeit des Meeres sind märchenhaft. Aber wer glaubt, sich daraus hemmungslos und gierig bedienen zu dürfen, dem ist so ein rabiates Ende beschieden, wie dem Fischer und seiner Frau, die am Schluß genauso wie am Anfang in ihrer Kate sitzen und Gräten abnagen.
