Die Menschen lieben ihn, aber sie fürchten ihn auch. Wenn er überteibt, und das tut er gern, ist sein Auftritt für den nüchternen Betrachter immer eine Spur zu pompös, sein Gefolge zahlreich und extravagant. Das Schlussdefilee einer Modeschau, wenn sich der Maestro inmitten seiner Models den Kameras präsentiert, ist ein schwacher Abglanz dessen, was Poseidon – der Neptun der Römer – mit seinen Wellenrössern, Nixen und Seeungeheuern im Schlepptau als Spektakel inszeniert.
Manche Astrologen schätzen die Wirkung der Planeten auf den Charakter eines Menschen höher ein als die Zugehörigkeit zu einem Tierkreiszeichen. Karl Lagerfeld zum Beispiel ist eine Jungfrau und in der Modebranche, in der er sich so elegant bewegt, würde man ihn nicht vermuten. Aber seine Sonne bildet eine Konjunktion mit dem Neptun und dann versteht man es schon wieder.
Der Gott der Meere, der Reichtum bringt, war für die Griechen auch ein streitsüchtiger und gieriger Gott. Als heimtückischer Landräuber nagt er, selbst wenn er sich scheinbar ruhig verhält, heimlich an jedem Ufer. Regeln sind ihm zuwider, Grenzen ignoriert er. Selbst wenn die See sich beruhigt, ist ihr nicht zu trauen. Unter dem glatten Spiegel lauert der Abgrund, der oben und unten, rechts und links durcheinanderwirbelt.
Poseidon ist allen Dogmatikern verhaßt und nur den Schwärmern, Esoterikern und Heiligen willkommen. Er ist neben Zeus (Jupiter) und Hades (Pluto) der dritte der Brüder, die nach der Enttrohnung des Saturn die Welt unter sich aufgeteilt haben. Sein Herrschaftsgebiet und sein Element ist das Wasser, der Urgrund allen Lebens. Schon die Genesis setzt seine Existenz noch vor der Schöpfung als selbstverständlich voraus: “Und der Geist schwebte über den Wassern.” Wer jemals am Strand von der Flut überrascht wurde, wer die Unaufhaltsamkeit des Wasser während einer Überschwemmung erlebt hat, versteht aber auch die Urangst, die sich in der universellen Überlieferung der Sintflut ausdrückt.
Die traditionelle Astrologie schreibt noch Jupiter die Herrschaft über das Zeichen der Fische und über das zwölfte Haus zu. Es fehlte ihr einfach der passende Planet. Der hat sich sehr spät gezeigt. Als der Hochstapler Napoleon III. auf den französischen Thron gespült, Europa von sozialen Reformen überflutet wurde, entdeckte ihn der Berliner Astronom Johann Gottfried Galle 1848 als schwaches Leuchten. Heute wissen wir, daß der Neptun an Größe und Gestalt mindestens so eindrucksvoll ist wie der Jupiter.
Wie alle langsamen Planeten, die jenseits des Saturn ihre Bahn ziehen, vertritt er ein elementares Prinzip. Doch anders als Pluto, der Herrscher der Unterwelt, steht er mitten im Leben. Man begegnet ihm überall und mit seinen Schattenseiten umzugehen, fällt den Menschen schwer. Dort wo Geldströme in dunklen Kanälen versickern, wo Aquarien in Chinarestaurents diskret die Anwesenheit der Mafia siganlisieren, wo hinter dem Glanz einer Fassade, sei es im Theater oder im Film die Intriganten agieren, steht Neptun mit seinem unberechenbaren Spiel von Glanz und Untergang.
Der Reichtum des Meeres ist sprichwörtlich, es schwemmt ihn an Land und läßt ihn ebenso unberechenbar in die Tiefe verschwinden. Alle Geschäfte, die mit Neptun zu tun haben, verwandeln sich in Machenschaften, die immer unklar bleiben. Poseidon war und ist wohl heute noch der Schutzherr von Athen. Und die jetzige Regierung macht ihm alle Ehre. Daß bei jedem Öltanker, der auseinanderbricht, von einer Kathastrophe oder einer Pest wie von einem Naturereignis gesprochen wird, obwohl dahinter eine klar erkennbare kriminelle Vereinigung steckt, nämlich eine mächtige und geldgierige Lobby von Reedern, ist den Vernebelungskünsten Neptuns zu verdanken. Seine Schattenseite ist Lug und Trug und Wischiwaschi. Psychologisch wabert er überall dort, wo diffuse Ängste, Phantasien und Sehnsüchte auftauchen.
Er geht mit jedem anderen Planeten entsprechende Verbindungen ein: mit Venus in der Glitzerwelt der Labels und im flüchtigen Seitensprung. Zusammen mit Merkur weiß er mit visuellen Fiktionen im Film und auf den Hochglanzseiten der Magazine zu bezaubern; nicht umsonst stand er Pate bei den Anfängen der Photographie. Er umstellt uns mit Bildern, die alles mögliche, aber nie die ganze Wahrheit abbilden. Die Illusion ist seine vergnügliche, aber auch trügereische Seite.
Wenn Neptun zusammen mit dem Mars den Grund aufwirbelt, so daß die letzten die ersten sein werden, stehen schon die Klassenkämpfer und Sozialarbeiter bereit mit dem Spruch auf den Lippen von dem “Wasser, das den harten Stein besiegt.” Er dient jedoch nur den Heiligen und den Asketen, die nichts für sich wollen. Je weniger sie von ihm annehmen, desto weniger kann er ihnen nehmen.