Wenn Gäste sich zum Essen niederlassen und jemand energisch die Tischordnung übernimmt, sei es ein Gast oder der Gastgeber, dann könnte man drauf wetten, daß es eine Waage ist. Micromanagement, das ist, was die Waage wirklich kann, vor allem, wenn es um Gesellungen geht. Jeder bekommt den Tischnachbarn, der ihm gefällt oder den er zumindest interessant findet.
Die Waage ist ein Beziehungstier: sie braucht den Partner wie die eine Hand die andere. Ihr Haus ist der Tradition nach das der Begegnung, der Ehe und der Verträge. Ihr Planetenherrscher ist die Venus, doch im luftigen Element und nicht wie beim Stier in der Erde, wo diese Göttin alles zum Blühen und Gedeihen bringt. Aber im Zeichen der Venus ist die Waage anfällig für heftige Amouren. Es ist gut für den Partner, wenn die Solidargemeinschaft Ehe, die sie außerordentlich hoch hält, mit ihrer Leidenschaft zusammenfällt.
Als Luftzeichen hat sie die Fähigkeit zur Abstraktion. Man sagt ihr die hohe Kunst der Diplomatie nach und ein ausgeglichenes Temperament. Doch das ist ein Mißverständnis. Kein anderes Zeichen hat eine so große Sehnsucht nach Harmonie und ist so konfliktscheu wie sie. Andererseits kenne ich keine Waage, die je ein Fettnäpfchen ausgelassen hätte. Sie hat eine klare Vorstellung von ihrer Wahrhaftigkeit und läßt ihrer scharfen Analyse keine Chance, sie mit dem Mantel der Empathie zu verschleiern. Der Satz ist gefallen, der Andere schockiert. Den Faux pas lächelt sie mit ihrem umwerfenden Charme weg. Aber auch das kommt nicht immer gut an.
Der Einfachheit halber: alle, die ich im folgenden beim Namen nenne, sind in diesem Sternzeichen geboren und so unterschiedlich sie auch scheinen, einen gemeinsamen Nenner haben sie.
Die Venus verleiht ihren Kindern ein gerüttelt Maß an Eitelkeit. Waagefrauen läßt man das gerne durchgehen. Sie sehen oft sehr gut aus, haben einen eleganten Geschmack und halten sich blendend, wie jüngst Ursula von der Leyen auf ihrem Pferd. Gelangen sie in die Politik, so kann man beobachten, was Männer an ihnen attraktiv, aber auch verwirrend finden: die Mischung aus Weibchenschema und knallharter Strategie. “Die eiserne Lady” ist eine treffende Beschreibung für eine Waagefrau. Wenn aber Männer wie Silvio Berlusconi sich eine Matte auf dem Kopf einschießen und Wladimir Putin sich bis zur Unkenntlichkeit liften läßt, dann ist das nur lächerlich. So wie die Frauen ihre Weiblichkeit betonen, so legen die Männer großen Wert auf ihr viriles Auftreten. Putin führt das gerne auch mit nacktem Oberkörper vor. Aber auch sie sind, obwohl sie sich lächerlich machen, nicht ungefährlich.
Die Waage ist, wie das andere Venuskind, der Stier, genuin konservativ. Ihre Planetenherrscherin ist insgesamt für die Erhaltung zuständig. Mars, der Zerstörer, ist ihr notwendiger Gegenspieler. Aber während das Marszeichen Widder sich für die Aktion entscheidet, schwingt die Waage die “verbale Peitsche”, wie Wolfgang Döbereiner meint. Sie gefällt sich in der Kunst der brillianten Argumentation. Ich habe zwei Waagen erlebt (beides Schriftsteller), die sich einen Abend lang gegenseitig beweisen wollten, wie idiotisch der jeweils andere sei.
Man findet in ihren Reihen Staatsanwälte und erstaunlich viele Generäle. Denn die Waage liebt Planspiele. Für den Alltag ist das nicht so günstig, wenn sie anfängt, darüber nachzugrübeln, ob sie zuerst zum Metzger und dann zur Post, oder besser umgekehrt gehen soll, ob man dann noch den Blumenladen besuchen kann, der aber leider jetzt nicht geöffnet ist, und so weiter. Die Entscheidungsfindung gestaltet sich schwierig. Die Arme tut gut daran, einen entschlossenen Helfer zu finden.
Waagen sind anspruchsvoll und verliebt in Luxus und Kunst. Daran halten sie heroisch fest, selbst wenn sie am Rande der Pleite entlangschlittern. Doch Eitelkeit und Hybris liegen eng beieinander. Die Waage, auch die männliche, erinnert an die hochmütige Prinzessin im König Drosselbart. Nachdem sie alle Bewerber spitzzüngig abgelehnt hat, tritt sie zur Strafe ihren Leidensweg mit dem armen Spielmann an. Aber hier zeigt sich auch die patente Waage und ihr Pragmatismus. Sie arbeitet in der königlichen Küche, und um die teuren Essensreste für sich zu nutzen, befestigt sie zwei Schüsselchen unter ihrem Rock, um sie nach Hause zu tragen. Die Prinzessin erhält eine Lektion in Demut und erst als sie die verinnerlicht hat, wird sie als Königin gewürdigt.
Das eigentliche Mysterium der Waage deutet die römische Erzählung von Amor und Psyche an. Psyche ist so schön wie die Venus, aber die haßt dieses “zitternde, immer auf Gleichgewicht bedachte Wesen” so Philip Mettman. “Denn Venus fordert Eindeutigkeit, Dienst oder Herrschaft, doch nichts dazwischen.” Sie schickt Amor aus, um Psyche mit dem Pfeil der Hoffnungslosigkeit zu treffen. Doch der verliebt sich in sie, verschont sie und verbindet sich im Dunkel der Nacht mit ihr. Er verbietet ihr, ihn im Licht, also mit dem Verstand zu sehen. Doch Psyche mißachtet den Willen des Gottes. Sie beleuchtet ihn mit einer Öllampe und läßt ausversehens heißes Öl auf ihn tropfen. Analyse tut weh. Amor verläßt sie. Sie muß ihn in der Unterwelt suchen. Nach einem langen Leidensweg findet sie ihn. Er vergibt ihr und vergöttlicht sie an seiner Seite im Olymp. Das Fazit des happy end: Psyche, die Seele, wird nur erlöst, wenn sie sich nach Art der Venus bedingungslos mit Amor, der Liebe verbindet.
Ganz wunderbar, ich erkenne meine wagen wieder. Bin entzückt, kuss, keto
LikeLike