Rachsucht, das sagt man ihm nach. Aber für den Skorpion ist Rache kein Vergnügen, sie ist ihm nicht süß, sondern ein Auftrag. Und sie muß kalt genossen werden, mit emotionalem Abstand. Es war die Göttin Artemis, die den Skorpion aussandte, um den mörderischen Jäger Orion den tödlichen Stich zu versetzen. Der hatte sich an ihren Tieren vergriffen und maßte sich an, auch die Göttin erobern zu können. Das ging ihr zu weit.
Orion hat Ähnlichkeit mit der Waage in ihrer Hybris. Ein Skorpion könnte ihr das Handwerk legen. Aber unter den maßgeblichen Politikern heute gibt es keine Skorpione. (Es ist schon erstaunlich: Putin und Cameron sind Waagen, Obama, Hollande und Tsipras sind Löwen!) Der Skorpion steht nicht gerne auf der Bühne, auch nicht auf der politischen. Eine Ausnahme ist Norbert Lammert, der dritte Mann nach dem Bundespräsidenten und der Kanzlerin. Daß er einer der mächtigsten Politiker in der Republik ist, davon macht er nicht viel Aufhebens. Er hält sich lieber im Hintergrund, um Strippen zu ziehen. Dabei versucht er, sein Parlament und damit die Demokratie zusammenzuhalten. Auch die Finanzwirtschaft ist den Skorpionen als Betätigungsfeld recht. Die Banker gieren nicht nach Öffentlichkeit, sondern gehen diskret ihren Geschäften nach.
Skorpione sind vorstellungsfixiert. Sie wissen genau, wie sie ihr Leben führen wollen und daran halten sie sich, soweit es geht. Was Moden und Normen vorschreiben, ist ihnen egal. Und was die Anderen von ihnen halten, auch. Dieses Tierkreiszeichen ist unabhängig und ziemlich bestechungsresistent. Der scharfe Blick der Skorpione, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, ist gefürchtet. Ihre Augen sind oft so hell wie Glasmurmeln und ebenso kühl. Routinen sind für sie überlebenswichtig, Gewohnheiten sind ihnen heilig. Ist die Wohnung einmal eingerichtet, sind Änderungen unerwünscht. Da wird kein Stühlchen mehr verrückt. Das mag man etwas langweilig finden. Aber dafür sind sie wirklich effizient in ihrem Tun, im Gegensatz zur gefühlten Effizienz zum Beispiel einer Jungfrau.
Andererseits reisen Skorpione erstaunlich gerne. Alle, auch die, die den Aszendenten in diesem Zeichen haben, könnten ein Reisebüro aufmachen. Sie entdecken die schönsten Gegenden und die günstigsten Reisewege. Aber eigentlich reisen sie nur, um zu kontrollieren, ob die Landschaft dem Prospekt entspricht, den sie vorher genau studiert haben. Sie besuchen auch gerne Orte, die sie schon kennen, um sich zu versichern, daß das Cafe an der Ecke noch existiert, und das Restaurant, in dem man immer gegessen hat, auch noch da ist. Überraschungen liebt der Skorpion nicht.
Sie sind nicht geheimnis”krämerisch”, sondern geheimnisvoll im großen Stil. Schriftsteller, die in diesem Zeichen geboren wurden, wie Clemens Setz zum Beispiel – auch er ein Novemberkind –, sind virtous im Verstecken und in der Camouflage. Sein Roman Indigo ist eine kriminalistische Suche nach dem Nirgendwo und dem Nirgendwas. Das zentrale Geheimnis seiner Protagonisten wird nie gelüftet.
Mitte Oktober bis Mitte November wandert die Sonne durch den Skorpion. In diese Zeit fallen die Trauerfeste: Volkstrauertag, Totensonntag, Allerseelen. Folgerichtig beherrscht der Skorpion das achte Haus, das Haus des Todes, der Metamorphosen und der Erbschaften. Als Pluto noch nicht entdeckt worden war, mußte sich der Skorpion den Mars mit dem Widder als Planetenherrscher teilen. Das hatte seine Berechtigung, denn die Waffe des Widders ist das Schwert, die knallharte Analyse. Der Skorpion ist genauso scharfsinnig, aber im Kampf führt er ein wenig heimtückisch das Florett der Ironie. Als Pluto 1930 entdeckt wurde, lag es nahe, ihn zum neuen Planetenherrscher des Skorpions zu wählen, denn Pluto ist der griechische Hades, der Herrscher der Unterwelt. Oder wie es bei der sehr skorpionbetonten Band Rammstein heißt: “Das Paradies liegt unter uns, das Licht geht aus. Seid ihr bereit, seid ihr soweit, willkommen in der Dunkelheit!”
Pluto, der schändlicherweise von den Astronomen vor ein paar Jahren zum Zwergplanet heruntergestuft wurde, überrascht sie heute mit eindrucksvollen Bildern. Ein Planet wird ja nicht nach seiner Größe benannt, sondern nach seiner Bahn um die Sonne. Pluto ist der langsamste Planet. Er kann bis zu dreißig Jahren in einem Zeichen verweilen. Seit 2008 wandert er durch den Steinbock. Für die Astrologen bedeutet dies, daß überkommene marode Strukturen – der Steinbock ist für die Struktur eines Gebildes zuständig – wie mit einer Abrißbirne zertrümmert werden. Er wird noch eine ganze Weile gründlich aufräumen.
